Die Regentropfen zeichnen konzentrische Kreise in den kleinen Pfützen die sich seit meiner Ankunft hier in den Löchern und Mulden des Asphalts gebildet hatten.
Ich sitze in einem Zelt auf dem Regensburger Dultplatz vor einem Becher Kaffee und schaue in das trübe Grau hinaus. Es ist Samstag der 30. Juli und die traditionelle Nudelparty am Vorabend des Arber Radmarathons fällt wohl sprichwörtlich ins Wasser.
Die Verkaufszelte auf dem Platz erleben einen regen Andrang auf Grund des immer noch andauernden Regens. Regenjacken haben Hochkonjunktur.
Ich habe mich dieses Jahr für die 170 Kilometer Tour angemeldet und schon seit Januar dafür trainiert.
So um die 3600 Trainingskilometer sind so zusammengekommen. Nun wird sich herausstellen wie gut das Training war. Die Startunterlagen hatte ich mir schon besorgt und so schlendere ich nach einer Portion Nudeln wieder zurück, vorbei an der „Steinernen Brücke“, in meine Unterkunft. Morgen früh um sieben ist der Start.
Der nächste Morgen zeigt sich grau in grau aber trocken. Auf dem Platz herrscht um kurz nach sechs schon reges Treiben. Die Teilnehmer der 250 Kilometer Tour waren schon um 6 Uhr gestartet und die Fahrer der nachfolgenden Touren machten sich langsam fertig.
Das Frühstücksbuffet ist gut besucht denn für 5 Euro kann man Essen so viel man will, Kaffee inklusive.
Inzwischen ist es kurz nach halb sieben und der Startplatz füllt sich zusehends.
Ich postiere mich im Mittelfeld denn von dort kann man sich nach dem Start immer noch nach vorne orientieren um sich einer der schnelleren Gruppen anzuschließen. Obwohl der Arber Radmarathon eine Radtouristische Veranstaltung ohne Zeitnahme ist, lässt sich nun so kurz vor dem Startschuss ein wenig Rennfieber nicht verleugnen.
Vorne am Startbogen erfolgt über Mikrofon nach der obligatorischen Begrüßung ein kurzes Briefing über Streckenzustand und Streckenverlauf.
„In 22 Kilometern nasse Straßen durch Nebel“ heißt es da, „fahrt bitte Vorsichtig“.
Zu diesem Zeitpunkt wusste wahrscheinlich noch niemand was ihn erwarten sollte.
Peter Schlickenrieder, der Silbermedaillengewinner im Skilanglauf, durfte als prominenter Starter das Starterfeld anführen und so machte, sich bei dem Vangelis-Titel Conquest in Paradise, das 2000 Teilnehmer starke Feld auf in Richtung Arber.
Die 170 Kilometer Tour ging los.
Die Fahrt raus aus Regensburg im „Peloton“ ist Gänsehautfeeling pur obgleich es nicht ganz ungefährlich ist sich inmitten von 2000 Fahrern zu bewegen.
Die Kreuzungen sind bis zur Stadtgrenze durch die Polizei für den übrigen Verkehr gesperrt und so geht es mit 30 – 40 km/h flott dahin.
Wie ein überdimensionaler Wurm schlängelt sich das Fahrerfeld durch die Straßen.
Ich versuche mich ins vordere Drittel vorzuarbeiten bevor es in die Berge geht denn nur so hat man die Gewissheit an den kommenden Steigungen noch genügend Fahrer hinter sich zu haben die einem Windschatten bieten können.
Nach ca. 15 Kilometern geht es hinauf nach Lichtenwald. Schon hier zieht sich das Feld ein wenig in die Länge.
Erste Ausfälle durch platte Reifen sind zu vermelden und ich habe nicht mal einen Ersatzschlauch dabei.
Dann nach 25 Kilometern wird die Straße, wie angekündigt, erst feucht und dann nass.
Ich verzichte noch auf die Regenjacke obwohl es am Rücken durch das Spritzwasser der Reifen langsam feucht wird – vielleicht wird die Fahrbahn ja wieder trocken.
Kurz vor Kilometer 40 wird es dann doch immer ekelhafter zumal nun auch leichter Nieselregen bzw. Nebelnässe eingesetzt hat und so wird die Regenjacke nun doch ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt.
Ab Kilometer 50 sind die ersten Höhenmeter überwunden und es geht bergab. Mehr als 60 km/h sind aber bei diesen Straßenverhältnissen nicht drin und so muss doch öfter die Bremse betätigt werden, was sich im Nachhinein als sehr verschleißfördernd für die Beläge herausstellen sollte.
Der feine Sand im Spritzwasser setzt ihnen doch sehr zu und so begleiten hässliche Schleifgeräusche jeden Bremsvorgang.
Ziemlich genau bei Kilometer 60 biege ich zur ersten Verpflegungsstation ab. Der Regen hatte nun fast aufgehört, die nassen Klamotten blieben aber.
Die Skala auf den Trinkflaschen zeigte mir an, dass ich viel zu wenig getrunken hatte. Kein Wunder bei diesen Witterungsverhältnissen. Ich befüllte eine der zwei Flaschen und zwang mich etwas zu essen denn bei Kälte benötigt der Körper zusätzliche Kalorien um sich warm zu halten.
Das Angebot war immens und reichte von Obst über Gurken, Tomaten und Melone weiter zu Butterbroten mit Salz, Wurst- und Käsebrötchen um schließlich in einer Vielzahl von leckeren Blechkuchen zu enden.
Die Organisation war tadellos, dass Wetter benahm sich aber daneben.
Frisch gestärkt ging die Fahrt mit einer Geschwindigkeit zwischen 30 – 40 km/h weiter nach Cham. Die richtig großen Brocken sollten aber erst noch kommen.
Einsetzender Regen ließ keine rechte Freude aufkommen und nichts deutete darauf hin das wir den 31. Juli schrieben. Ganz im Gegenteil, das Wetter passte eher zu November.
Ab Kilometer 80 begann der Aufstieg zur 775 Meter hohen Wurzerspitze. Ab hier ging es 6 Kilometer nur bergauf mit Steigungen bis zu 13%.
Die nachfolgende fast 10 Kilometer lange Abfahrt sollte eigentlich für den schweren Anstieg entschädigen, war aber auf Grund der Straßenverhältnisse eher ein Husarenritt. Man musste ständig auf der Hut sein sich nicht in einer der Spitzkehren lang zu legen.
Mit verhaltenem Schwung wurden so die letzten Kurven in Richtung Viechtach genommen. Zumindest waren hier die Straßen fast abgetrocknet und eine zaghafte Hoffnung machte sich breit, dass es vielleicht für den Rest der Strecke so bleiben könnte. Kurz nach Viechtach wurde es wieder steiler und die inzwischen stark ausgekühlte Muskulatur musste zum beherzten Antritt erst überredet werden.
Noch einmal rechts ab und es begann der Aufstieg nach Maibrunn. Kurz vorher hatte ich mich mit einem Mitfahrer unterhalten der die Strecke bereits kannte und den Anstieg nach Maibrunn als die letzte harte Prüfung titulierte – er sollte recht behalten.
Aber erst ging es mit moderaten 9% Steigung nach Kolmberg und von dort weiter zur zweiten Verpflegung. 106 Kilometer standen bis dahin auf dem Tacho.
Die Muskeln waren inzwischen so kalt das sie schmerzten. Dicke Atemwolken machten sich bei jedem ausatmen breit, der Regen hatte wieder eingesetzt und Nebel mit Sichtweiten zwischen 30 und 50 Metern versetzte die Umgebung in eine unwirkliche Szene.
Der Ruf nach Glühwein wurde laut und man bekam vor lauter zittern die Wurstsemmel oder den Kuchen kaum in den Mund.
Nebenan meinte jemand er hätte einen Skifahrer gesehen was mit Gelächter, dass an eine Mischung zwischen Qual und Erleichterung erinnerte, quittiert wurde.
In den Gesichtern war Erschöpfung und Mutlosigkeit zu lesen. „Warum tue ich mir das an“ schoss es mir durch den Kopf. Die Szene erinnerte an eher eine Polarexpedition und die Semmel wollte nicht recht schmecken, so beschloss ich weiter zu fahren.
Mit maximal 18% Steigung ging es weiter hinauf. Durch den immer dichter werdenden Nebel sah man nicht wann der Anstieg zu Ende war und so fuhr man wie in Trance immer weiter, bis bei 910 Metern der der höchste Punkt der Tour erreicht wurde.
Die Geschwindigkeit ging bis auf 7,5 km/h zurück und der kleinste Gang war nicht klein genug. „Nur nicht stehen bleiben“, sagte ich mir, „nur nicht stehen bleiben, du kommst hier nie wieder weg“!
Irgendwie habe ich es dann aber geschafft und tastete mich in der nachfolgenden Abfahrt durch den Nebel nach unten.
Bei Kilometer 140 war auch der letze Anstieg nach Falkenfels überwunden und die dritte Verpflegung in Saulburg erreicht.
Hier gab es die obligatorische Radlerhalbe, eine Mischung aus Limonade und Bier, und jede Menge Leckereien die von unzähligen Wespen „bewacht“ wurden.
Zeit die Muskeln zu dehnen und die Regenjacke linksherum zum Austrocknen in den Wind zu hängen.
Eine Blasmusikkapelle spielte bayrisches Liedgut und jede Menge Biertische luden zum verweilen ein. Wie schön wäre es jetzt wenn die Sonne scheinen würde.
Von hier ab ging es hinunter zur Donau und dann relativ flach nach Regensburg.
Für die letzten 30 Kilometer ist es von Vorteil sich eine gute Gruppe zu suchen, denn es bläst meist ein unangenehmer Westwind gegen den man sonst alleine anfahren müsste.
Ich hatte Glück und meine Gruppe zog mich mit bis zu 35 km/h Richtung Start/Ziel.
Nach genau 8 Stunden, 179,62 Kilometern und einer reinen Fahrzeit von 7 Stunden und 5 Minuten erreichte ich müde aber glücklich das Ziel.
Fast vergessen waren die Strapazen als ich mir meine Urkunde, die Essen- und Getränkemarken sowie mein Arber Radmarathon-Trikot abholte.
Welchen Platz ich belegte? Ich werde es wohl nie in Erfahrung bringen, denn der Arber Radmarathon ist eine rein radtouristische Veranstaltung ohne Zeitnahme. Dennoch: Man geht schon mit ein wenig stolzgeschwellter Brust über den Platz. Schließlich hatte man bei widrigsten Wetterverhältinissen solch eine Strecke bezwungen.
Später erfuhr ich, dass das Gros der 250 Kilometer Teilnehmer auf Grund der widrigen Wetterverhältnisse auf die 170 Kilometer Tour ausgewichen sind. Ein kluger Entschluss muss ich sagen denn dieser 31. Juli 2011 war alles andere als ein Sommertag zum Radfahren. Dennoch – nächstes Jahr bin ich wieder mit dabei!
Es wird eine Startgebühr erhoben. Die Höhe ist abhängig von der Tour und wann man sich anmeldet. Frühanmelder, ab Mitte März, zahlen am wenigsten.
Die Organisation ist jeder Kritik erhaben. Vom Frühstücksbuffet über die Startorganisation, den Verpflegungsstationen und dem Rahmenprogramm ist an alles gedacht. Unterwegs patrouillieren ständig Polizeimotorräder den Radler-Konvoi und sichern neuralgische Punkte. Kleinere Defekte werden unterwegs Mobil von Fahrrad Stadler behoben.
Event: Arber Radmarathon
Veranstalter: Veloclub Ratisbona, Regensburg
Teilnahmeberechtigt: Alle ausreichend trainierten Radfahrerinnen und Radfahrer.
Strecken Rennrad:
- Tour A, 250 Kilometer, 3300 Höhenmeter
- Tour B, 170 Kilometer, 2200 Höhenmeter
- Tour C, 125 Kilometer, 1100 Höhenmeter
- Tour D, 100 Kilometer, 800 Höhenmeter
- Tour E, 56 Kilometer, flach
Strecken Mountainbike:
- Tour F, 135 Kilometer, 2900 Höhenmeter
- Tour G, 112 Kilometer, 2150 Höhenmeter
- Tour H, 60 Kilometer, 850 Höhenmeter
https://www.arberradmarathon.de/
Der Autor
[…] Wie immer gibt es acht verschieden lange Strecken. Für Mountainbike sind es 3 Strecken zwischen 55Km/930 Hm und 126 Km/2580 Hm und sogar 5 Strecken für Rennrad (56 Km bis 250 Km/3300Hm). Der Arber-Radmarathon ist eine echte Herausforderung und das nicht nur aufgrund der Streckenlänge. Das Wetter ist reine Glückssache und kann eisig (2011) aber auch brütend heiß sein (2013). Ein Erfahrungsbericht erzählt davon. […]