Nachdem ich vor einiger Zeit über ein vermeintlich revolutionäres Getriebe mit dem klangvollen Namen „Nagelcraft“ geschrieben habe, stehe ich nun vor der ruhmreichen Aufgabe ein anderes alternatives Antriebssystem vorzustellen: Das Pinion P1.18. Getriebe.
Die Pinion GmbH ist ein Unternehmen, dass von zwei Ingenieuren aus der Automobilbranche gegründet wurde (Christoph Lermen, Michael Schmitz) und ein Fahrradgetriebe entwickelt hat, dass den konventionellen Schaltgetrieben ernsthafte Konkurrenz bieten soll – zumindest in gewisser Hinsicht.
Diesmal erscheint mir eine „Revolution“ (ich wäre mit diesem Wort grundsätzlich eher sparsam) zumindest wahrscheinlicher als bei einigen der groß aufgeblasenen Neuerungen vergangener Tage, die letztendlich eher peinlich im Abgrund der Unbedeutsamkeit verschwunden sind: „Brakeforce One“ und eben auch mitunter Nagelcraft.
Beides wurde in Internetforen heiß diskutiert (auf dem Trail und im Gespräch mit echten Menschen hab ich dagegen nie etwas davon gehört, geschweige denn auch nur ein einsames Exemplar gesichtet, ich denke beides dürfte seine Gründe haben…)
Prinzipiell fand ich diese Konzepte auch nicht uninteressant, aber offenbar zu exotisch (und teuer) um sich wirklich zu etablieren – um es vorsichtig auszudrücken.
Im Gegensatz dazu arbeitet im P1.18 (wie auch in der Rohloff oder der Alfine) ein altbewährtes Konzept aus der Antriebstechnik – in leichter Modifikation und selbstverständlich kleinerem Maßstab.
Es ist ja nicht so, als wäre ein ausführlicher Systemvergleich eines Kettentriebs und eines Getriebeantriebs unangebracht, aber er wäre mit Sicherheit zu lang für diesen Artikel und könnte an sich schon Seiten füllen.
Deshalb möchte ich mich auf einige Gedanken der Pinionkonstrukteure beschränken (um nicht zu sagen, ich fasse nur zusammen was ohnehin über andere Quellen ohne Weiteres gefunden werden kann und mit anderen Quellen meine ich im Wesentlichen die Website des Herstellers)
Keine Frage, die journalistische Leistung ist möglicherweise gering und es sind keine exklusiven Informationen zu erwarten, aber ich denke dieser bescheidene Artikel ist deshalb gerechtfertigt, weil er versucht die Infos, die verstreut irgendwo im Netz rumgeistern, zusammenzutragen. Immerhin.
Womit beginne ich nun?
Gehen wir doch einmal gemeinsam die interessanten Punkte des FAQs durch: Das Getriebe kann nicht an einem beliebigen Rad nachgerüstet werden, erhältlich ist es vorerst nur an Rädern von industriell fertigenden Herstellern, den sogenannten OEMs (original equipment manufacturer) und ist deshalb auch nicht einzeln käuflich zu erwerben.
Die aktuell von Pinion gelisteten OEMs sind unter folgendem Link zu finden.
http://pinion.eu/de/discover-pinion/partners/
Probefahrten gibt es wenn, dann auch bei genau diesen Herstellern.
Doch nun habe ich das Pferd ein wenig von hinten aufgezäumt, ich denke es ist an der Zeit das P1.18 zunächst prinzipiell von anderen Getriebekonzepten zu unterscheiden.
Heutige Konvention sind Kettenschaltungen, sie verrichten an den allermeisten Bikes stillschweigend und unauffällig ihren Dienst, haben aber eine entscheidende Schwäche:
Sie baumeln naturgemäß außen am Rahmen herum und reißen dehalb gerne mal ab, manchmal nehmen sie noch das Schaltauge (oder gar Teile vom Rahmen) mit, was dann sehr ärgerlich und teuer ist und überhaupt sind diese fragilen Wesen sehr empfindlich was äußere Einflüsse angeht. Außerdem ist der Pflegeaufwand relativ groß (ich glaube kaum, dass jemand so viel Zeit mit gut zureden und schmieren an seinem KFZ – Getriebe verbringt), dafür sind sie leicht und schalten unbeschädigt sehr präzise und direkt, mit etwas Gefühl auch unter Last, nicht aber im Stand.
In der ruhmreichen Geschichte des Geländeradsports wurden deshalb keine Mühen gescheut um eine Alternative zu entwickeln: Rohloff und Shimano bieten ihre unendlich kompliziert verschachtelten und schweren Getriebenaben an, Honda hat um das Schaltwerk flugs ein Gehäuse gebaut und Lahar montiert eine Getriebenabe im Rahmen.
All diese Konzepte brachten aber zu wenig Vorteile gegenüber dem konventionellen Kettengetriebe und sind deshalb eher unbekannt, dazu kommt noch das alle relativ schwer und nicht ganz billig sind.
Pinion dagegen hat etwas eigentlich völlig Naheliegendes getan, das aber bisher niemand gewagt zu haben scheint – das Getriebe wird um das Tretlager herum konstruiert und wird so Bestandteil des Rahmens. Das spart Gewicht und Platz und man hat trotzdem ein Getriebe – toll, oder? Teuer bleiben die damit ausgestatteten Räder dennoch…
Ein Urteil über das Getriebe abzugeben ist zurzeit sehr schwierig – es ist einfach noch zu jung und zu wenige fahren damit. (Ich werde dennoch mit vollem Einsatz versuchen für euch, meine werten Leser, eine Testfahrt zu machen)
Aber der Markteinstieg des Unternehmens erscheint mir wesentlich vielversprechender als so manch Anderer und einige namenhafte Hersteller (siehe Liste im Link oben) haben sich schon auf das Konzept eingelassen.
Warum aber bin ich dieser Meinung?
Einerseits findet, wie Eingangs erwähnt, ein felderprobtes Konzept Anwendung – das Stirnradgetriebe. In der Automobiltechnik wird in KFZ Getrieben etwas recht ähnliches verwendet, allerdings in völlig anderen Dimensionen und mit ein paar notwendigen technischen Maßnahmen mehr (wie z.B. vorgeschalteten Kupplungen) dort funktioniert es schließlich auch schon seit Generationen von Fahrzeugen unter allerlei Bedingungen zuverlässig, warum sollte das im Fahrrad nicht so sein?
Die Entwicklungszeit des Getriebes beträgt 6 Jahre (Quelle: Infrobroschüre), keineswegs wird also ein übereiltes, unfertiges Produkt auf den Markt geworfen und der Anwender sich selbst überlassen.
Dazu kommt noch, dass Pinion nach eigenen Angaben selbst einen Prüfstand entwickelt hat, auf dem ein spezifisches Lastkollektiv gefahren wird.
Ein Lastkollektiv ist vereinfacht gesagt eine Reihe von Belastungen, die für einen bestimmten Anwendungsfall ermittelt wurden.
Für viele technische Anwendungen gibt es genormte Lastkollektive (z.B. Kranbau) die in irgendeiner DIN festgelegt sind und mit denen ein Bauteil auf seine Stabilität für einen bestimmten Anwendungsfall überprüft werden kann.
Weil die DIN sich bisher wohl kaum um einen MTB Antrieb geschert hat, hat Pinion mit eigenen Testfahrern ein geeignetes Lastkollektiv ermitteln müssen und das Getriebe dann auf einem Prüfstand damit getestet.
Prüfstandtests sind deshalb einfacher, als das Getriebe jemandem zum kaputtfahren zu geben, weil der Lebenszyklus so viel schneller nachgebildet werden kann.
Die Maschine wird ja nicht müde und fährt ohne Pause durch, ein durchschnittliches Getriebeleben wird so in vielleicht zwei Wochen runtergespult, in der Praxis wären das Monate, wenn nicht Jahre.
Außerdem wird die Fertigung der Zahnräder in die Hände von Automobilzulieferern mit den nötigen Know – How abgegeben, das ist durchaus sinnvoll, nicht nur aus technischer Sicht wegen der lieferbaren Qualität, sondern das Ganze wird dadurch preiswerter.
Das Gesamtbild dieses aufstrebenden Unternehmens ist also sehr professionell, wenn es hält was es verspricht, könnte es für eine eher zahlungskräftige Käuferschaft sehr interessant werden.
Was sonst ist an dem Piniongetriebe noch so cool?
Letztendlich ist der Einbau des Getriebes in den Rahmen der entscheidende Gag an der ganzen Sache – zumindest bei vollgefederten Bikes.
Es ist so z.B. möglich, einen „antriebsneutralen“ Hinterbau zu entwickeln, an genau dieser Aufgabe sind schon etliche gescheitert und letztendlich führt diese Anforderung auch immer tendenziell von der Kettenschaltung weg.
Wie kommt das zu Stande?
Vorausgesetzt ihr wollt es euch selbst wirklich antun, dann lest doch mal hier diese Arbeit nach: http://www.troeger-engineering.de/index_neu.html, dort wird der Antriebseinfluss aufs ergiebigste behandelt. (ist aber kein Muss)
Antriebswippen kommt im Wesentlichen daher, dass der Hinterbau beim Treten einmal durch die Reaktionskraft am Hinterrad ausfedert, gleichzeitig aber durch den Kettenzug einfedert, dazu kommt beim Beschleunigen eine ausfedernde Bewegung durch die Massenträgheit des Rades (die dynamische Radlastverschiebung ist am MTB relativ klein).
Wenn alles sich die Wage hält passiert nichts – der Antrieb ist neutral und diese Situation herrscht an genau einem Betriebspunkt (einer bestimmte Kettenhöhe – Übersetzungskombination).
Es ist ein leichtes zu verstehen, dass ein Kettengetriebe das auf jeden Fall nicht leisten kann, ändert sich mit dem Gang doch bei gleicher Kettenzugkraft die Reaktionskraft am Hinterrad und zudem auch noch die Kettenlinie. Strenggenommen kann hier nur ein Gang wirklich antriebsneutral funktionieren.
In der Praxis findet man häufig das Hauptlager auf der Höhe zwischen großem und mittleren Kettenblatt. Dies wurde von Eric Gross ermittelt und funktioniert in der Regel schon gut genug. (siehe auch Link)
Beim Pinion aber geht das wegen des konstanten Abtriebspunkts der Kette besser, denn die Kettenlinie ändert sich nicht und die Kettenzugkraft ist proportional zur ausfedernden Reaktionskraft am Hinterrad.
Bei richtiger Kettenlinie ist der Hinterbau also für alle Gänge fast unabhängig vom Kettenzug. Klasse, nicht?
Wie eine Nabenschaltung auch lässt sich das Getriebe auch im Stand schalten, die Gänge sind also schneller drin als bei einer Kettenschaltung (beeindruckende 0.021 Sekunden sollen es sein). Ein Hochschalten unter Last ist möglich, runterschalten leider nur unter Teillast, wie in einem Video von der Eurobike 2010 erklärt wird.
Dazu kommen noch die erhöhte Bodenfreiheit, die Kapselung des Getriebes und eine permanente Schmierung durch ein Ölbad. Das einzige was gepflegt werden muss, ist der außen liegende Teil des Antriebs, also die Kette oder der Riemen oder …
Insgesamt also macht man sich weniger die Finger schmutzig und kann im Endeffekt einen recht zuverlässigen Antrieb erwarten.
Ungewöhnlich ist aber auch der Drehgriff, der eher an die wilden 90er erinnert, als es das noch öfter gab, heute läuft ja das meiste Shifterbasiert. Es wird seinen Grund haben, weshalb Shifter sich durchgesetzt haben, aber es ist sicher auch eine Frage der Gewöhnung und ein wenig Leidensfähigkeit muss jeder MTB Fahrer ohnehin unter Beweis stellen, sonst wäre er schließlich kein MTB Fahrer.
Und nun: das Gewicht.
Das ganze Ding wiegt 2640 g, ist also nicht ganz leicht. Eine XT Gruppe ist ca.
1200g leichter und eine Rohloff Nabe ca. 780g.
Gewichtsersparnis ist also insgesamt nicht unbedingt der Fall, aber die Masse wird niedrig und zentral im Rahmen platziert und das kommt dem Handling zu gute.
Die Rohloff am Hinterrad oder auch einfach nur ein Schaltwerk am Hinterbau verschlechtern das Federungsverhalten, weil sie die ungefederte Masse erhöhen (altbekanntes Thema und in jeglicher Art MTB Forum heiß diskutiert).
Insofern hat das P1.18 hier wieder einen Vorteil.
Pinion bietet zudem ein ansehnliches Repertoire an eigenen oder gelabelten Zubehörteilen, wie Naben (Acros), Kettenblättern und allerlei Ersatzteilen und Spezialwerkzeug an.
Hier der Produktkatalog als PDF:
http://www.pinion.eu/PDF/pinion-product-catalogue-web.pdf
Wie funktioniert das Pinion Getriebe?
Zunächst einmal eine Anmerkung:
Ich bin mir der Plumpheit und der scheinbaren Aussagelosigkeit solcher Ausführungen bewusst, aber selbst Hochschulprofessoren scheitern teilweise fatal daran, einfachste technische Sachverhalte verständlich zu erklären. Bitte bitte lest das ganze gutmütig, vielleicht ist es doch gewissermaßen interessant und bisher habe ich keine solche Erklärung der Funktion gefunden.
Wem die Aussage „zweistufiges Getriebe mit einer Stufe aus sechs Gängen und einer Stufe aus drei Gängen“ ausreicht, der braucht nicht weiterlesen.
Prinzip des Ganzen:
Es gibt zwei Teilgetriebe mit einmal sechs und einmal drei Gängen (ein Gang ist eine Zahnradpaarung. Ein Teilgetriebe ist einfach nur die Menge möglicher Gänge darin).
Die Zahnräder sind axial ortsfest, befinden sich also immer im Eingriff und können mit der Welle ge- oder von ihr entkoppelt werden. Das klingt erstmal kompliziert, bedeutet aber nichts weiter, als dass Ihr einfach nur bestimmt, welche Zahnräder sich mit der Welle mitdrehen und ein Moment übertragen und welche lustig frei rotieren. Jedes Zahnrad hat also einen eigenen, an- oder abschaltbaren Freilauf (in KFZ Getrieben wird das hingegen z.B. über verschiebbare Muffen realisiert)
Die 18 Gänge ergeben sich aus der Multiplikation der Gänge (3×6=18) wobei die Zahnradpaarungen so gewählt sind, dass immer ein Sprung von 11.5% zwischen zwei Gängen stattfindet
Das System besteht aus drei Wellen.
Die Welle, an der die Kurbel hängt ist die Antriebswelle (I), dann gibt es noch die Zwischenwelle (II) (die liegt im bauchigen Teil des Gehäuses) und die Abtriebswelle (III), an der das Zahnrad, die Riemenscheibe oder was auch immer hängt. Diese Abtriebswelle (III) ist auf der Antriebswelle (I) mit Nadellagern gelagert, sodass sich diese koaxial (also um die gleiche Achse) mit einer anderen Geschwindigkeit drehen kann.
Die erste Stufe des zweistufigen Getriebes entspricht den geschalteten Zahnrädern der Antriebswelle und der Zwischenwelle (sechs Zahnradpaare).
Die zweite Stufe entspricht dann wiederum dem geschalteten Zahnradpaar der Zwischenwelle und der Abtriebswelle und hat drei Zahnradpaare.
Die Eingangsdrehzahl der zweiten Stufe entspricht der Ausgangsdrehzahl der ersten Stufe (das erste Zahnrad der zweiten Stufe dreht sich genauso schnell wie das zweite Zahnrad der ersten Stufe weil Beide auf der gleichen Welle sitzen)
Die Schaltung der Freiläufe wird über eine Nockenwelle realisiert, dessen Position bestimmt, welche Zahnräder geschaltet werden.
Das hat den entscheidenden Vorteil, dass die Gänge im Getriebe selbst eingelegt (indexiert) werden, der Seilzug erfährt nur eine minimale Last und längt sich deshalb nicht bis kaum.
Ein „Feature“, eher aber eine Systemeigenschaft, ist die Tatsache, dass der Wiederstand beim Schalten unter Last erhöht wird (weil die Schaltung der vorgespannten Freiläufe logischerweise mit mehr Reibung verbunden ist als im lastfreien Zustand). Verkauft wird dies als „Feedback – Funktion“, naja…
Wer ausprobiert hat ob man ein Auto ohne Kupplung schalten kann, der wird festgestellt haben: das geht – mit viel Gefühl für die Drehzahl und etwas beherztem Gangeinlegen, empfehlenswert ist das aber nicht. Insofern denke ich spreche ich im Sinne des Anwenders wenn ich sage, dass Unterlastschalten möglich, aber eher nicht gut sein wird.
Alles klar? Fein…
Der Autor