Bike Reifen

Schwalbe Ice Spiker Pro – Testbericht

Nichtsahnend sitze ich an einem Novemberabend nach getaner Arbeit vor dem Rechner und klicke mich durch die ersten Schneebilder auf MTB-News, als mich – als wäre es Telepatie – eine Nachricht von Detlef erreicht.
Ihm sei die Idee über einen Winterreifentest gekommen und ob ich denn Interesse hätte über sowas zu schreiben.
Warum nicht? – denke ich mir und schreibe zurück, er solle die Anfrage ruhig machen.
Bereits eine Woche später liegt ein blaues Paket bei mir.
Alles was jetzt noch fehlt sind Schnee, Eis und schwere Bedingungen um die Testobjekte auf Herz und Nieren zu prüfen.

Auf dem Plan stehen: Wie steht es mit den Rolleigenschaften im Schnee, dem Grip auf Eisplatten, der Selbstreinigung, Kurvengripp, etz. aus?
Langweilig wird mir mit den Reifen also sicher nicht, zumal ich als Vergleich zum letzten Jahr mit dem vielen Schnee sowohl einen anderen Spiker als auch den klassischen Stollenreifen habe.
Mal sehen wie sich der Ice Spiker Pro von Schwalbe so schlagen wird, ich bin auf jeden Fall gespannt.

Noch am selben Abend lese ich mich im Netz über das technische Drumherum des Reifens ein. Interessant sind hier die Details, die Spikes sind zweiteilig hergestellt aus einer Aluminiumhülse und einer Spitze aus Wolframcarbid.

Vorteil dieser Bauweise ist zum einen das relativ geringe Gewicht des Faltreifens (von ca. 850g bei 2.35“, 650g bei 2.25“) bei einer dennoch sehr hohen Anzahl von Spikes von 341 (!) und ausgezeichneten Materialeigenschaften der Spitze aus dem besagten Hartmetall Wolframcarbid.
Wolframcarbid ist eine sehr, sehr harte Carbid-Keramik (WC).

Zum Vergleich: Die Rockwellhärte HRC von WC ist 80, die von Diamant 100, die von japanischem Shiro-Gami Messerstahl 65 und wir alle kennen die berüchtigten Messer der Japaner…
Man bedenke: Dieser Stahl ist so verdammt hart, dass man fast nicht mehr in ihn Bohren oder ihn sonst irgendwie mit einer geometrisch bestimmten Schneide zerspanen kann. WC ist noch sehr viel Härter und trägt deshalb auch den Namen „Widia“ (wie Diamant) – ich denke, das sagt alles über diesen Stoff…

Auch wenn die Aluhülsen Vorteile im Gewicht bieten, es ist bei Salz auf den Straßen leider möglich, dass diese Hülsen anfangen zu korrodieren. Es handelt sich also um einen ausschließlich fürs Gelände konzipierten Reifen. Für die Straße hat Schwalbe andere Modelle, z.B. den Marathon Winter im Angebot.

Einschätzungen vorab also: Aufgrund dieser Eigenschaften des WC ist es möglich die Spitzen der Spikes sehr scharf zu gestalten und dadurch den Grip auf Eis gegenüber Stahlspikes zu erhöhen.
Das Profil des Reifens ist offen und symetrisch gestaltet, auch feuchter, pappiger Schnee kann sich so nur schwer festsetzen und man kann erwarten ähnlich gute Traktion bergauf wie bergab zu haben.
Durch die recht hohe Breite (2.35“ Version) dürfte der Reifen auch bei tieferem Schnee noch recht gut rollen und nicht komplett einsacken.

Die letzten beiden Eigenschaften werden auch von Matschreifen und ein paar guten Allroundern erfüllt, allerdings fehlen diesen den Spikes und damit der Einsatzbereich Eis. Ich weiß noch vom letztem Jahr, als ich mit normalen Gummis manchmal einfach nur beten konnte…

Ein schönes Feature ist außerdem das Tubeless-Ready System. Zwar sitzt der Reifen recht stramm auf der Felge und ist deswegen nicht ganz einfach aufzuziehen, aber wegen der Dichtigkeit ist das wohl notwendig.
Tubeless ready erleichtert das Abdichten des Reifens mit Dichtmilch durch einen speziell geformte und beschichteten Wulst, der sofort mit der Felge abdichtet.

Aber nun, auf auf! Testfahrt ist angesagt!
Schon die Runde auf dem Parkplatz vor dem Haus lässt erahnen, was die Reifen können. Auch wenn ich mich seit dem letzten Winter fahrerisch etwas weiterentwickelt haben dürfte, ich kann mich nicht erinnern Kurven über vereiste Spurrillen jemals so angefahren zu sein! Zwar merkt man schon, dass man sich nicht auf trockenem Asphalt bewegt, aber die Reifen vermitteln sehr viel Sicherheit und haben einen sehr gutmütigen Grenzbereich. In reinem Schnee mögen das einige Stollenreifen auch von sich behaupten dürfen, aber dieser fiese Mix aus Vereisungen und Schnee (auch noch als Relief) würde einen Nicht-Spiker definitiv überfordern.
Zugegeben, auf Trails fahren keine PKW kreuz und quer durch die Gegend, aber doch wird man die ein oder andere Eisplatte finden und da ist es beruhigend zu wissen, dass das Material nicht plötzlich einfach so kapituliert.

Eigenschaften Bergauf/Flach:

Die Erwartungen wurden auch auf dem Trail nicht enttäuscht. „Freeride im Schnee“ geht definitiv mit diesen Reifen!
Das Abrollgeräusch auf der Straße ist böse, einfach nur böse. Auf Asphalt tritt der Reifen sich nicht besonders einfach, aber sobald man auf Eis oder Schnee fährt hat man eigentlich nur Vorteile. Selbst Steigungen, die man auch sonst im kleinsten Gang fahren würde, lassen sich ganz ohne Schlupf hochtreten, sogar anfahren klappt völlig mühelos. Man vergisst schnell auf welchem Untergrund man sich bewegt, man hat einfach immer Grip.

Eigenschaften Bergab:

Kurz: man kann mit diesem Reifen stehen lassen, einfach nur stehen lassen.
Eigentlich braucht Ihr hiernach gar nicht mehr weiterlesen…

Zugegeben, man wird nicht die Geschwindigkeit erreichen, die man im Sommer auf staubtrockenen und festen Böden bekommt, aber vom Gefühl her ist man verdammt nah dran.
In Kurven kann man sich tatsächlich reinlegen (bei Schnee!), ich habe mich gefühlt mehr getraut als bei Schlamm und war stellenweise vielleicht sogar schneller.

Wenn es rutscht, bemerkt man es lange vor der Katastrophe, vereiste Wurzeln und Spurrillen sind keinesfalls mehr Deadzone, fast alles lässt sich völlig risikofrei und kontrolliert überrollen.
Die spitzen WC Spikes leisten auf vereisten Flächen ganze Arbeit, es erscheint wirklich völlig egal ob Schnee oder Eis.

Auch bei starken Bremsungen verliert man nur höchst selten die Kontrolle über das Vorderrad und wenn, dann lässt es sich meistens noch einfangen. Genau dieser äußerst gütige Grenzbereich im Schnee macht diesen Reifen meiner Meinung nach so gut.

Ich kann dem Reifen nur die Tauglichkeit bescheinigen.
Im Gelände (Enduroeinsatz) fühlt er sich pudelwohl und macht genau das was er soll.

Szenario 1:
Forststraße abschüssig, Spurrillen von Forstfahrzeugen, teilweise vereist:
Kein Problem – man kommt einfach aus den Spuren raus, auch wenn die Flanken eisig sind. Die seitlich gelegenen Stollen greifen direkt und ziehen einen geradezu nach oben.

Szenario 2:
Mäßig steiler Trail mit vielen Wurzeln, auch schräg zur Fahrtrichtung, teilweise enge Anlieger.
Auf Wurzeln greifen die Spikes, im Schnee das Profil. Man kann sich trauen die Bremse zu öffnen, die Verzögerung kurz vor Kurven ist problemlos möglich und die Kurvengeschwindigkeit ist den Verhältnissen entsprechend recht hoch.
Man muss nicht befürchten das Vorderrad plötzlich zu verlieren (wie man es von vielen Stollenreifen auf übereisten und festgefahreren Abschnitten kennt).

Szenario 3:
Flacher Trail, recht glatt ohne viele Hindernisse, überwiegend Schnee.
Hier ist der Reifen fast schon über. Man kommt gut auf Geschwindigkeit, weil er sehr leicht ist und sich darum noch akzeptabel beschleunigen lässt. In langgezogenen Anliegern kommt ihm wieder der Grenzbereich zu Gute, man bekommt ein wenig das Gefühl man würde durch den Schnee surfen.

Szenario 4:
Asphaltstraße, teilweise ungestreut.
Auf den ungestreuten Teilen, super, auf dem restlichen Asphalt kosten die vielen Spikes wieder Grip, der Gummi scheint die Straße nichtmal richtig zu berühren. Außerdem ist er sehr laut und die Aluhülsen sind Salzempfindlich. Hierfür ist er also wenig geeignet, aber hier gehört er ja auch nicht hin…

Abschließend kann ich sagen:
Ein sehr guter Reifen für Leute die nur Gelände fahren wollen.
Die Fahreigenschaften sind rein auf den Einsatz abseits der Wege getrimmt und dort – und zwar nur dort – sollte er auch gehalten werden.

Preis/Leistung:
Ich bin mir nicht sicher, ob ich in diesem Gebiet für die wenigen Schneetage einen solchen Reifen bräuchte oder ob hier nicht der kleine Bruder mit weniger Spikes auch ausreichend wäre.
Für Leute die aber mit mehreren Wochen tiefem Winterwetter rechnen müssen, ist der Reifen meiner bescheidenen Meinung nach sehr interessant.

In diesem Sinne, genießt die Wintertage und macht das Beste draus!

Der Autor

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Dominik

Ein Mann – eine Aufgabe. Er testet für euch, damit ihr hart verdientes Lehrgeld spart.
Er testet für euch, damit ihr euch nicht über Fehlkäufe ärgert.
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Eine Aufgabe – ein Mann dafür.

3 Comments

  • Bemerkung: Passt bei der Faltversion auf, dass alle spikes am Anfang auch richtig drin sind. Eigentlich können die gar nicht rausfallen aber wenn der Reifen aus der Packung kommt, ist er an den engsten Radien so verzerrt, dass die Spikes leicht herausrutschen können. Habe ich zum glück beim auspacken gemerkt, könnt Ihr aber ohne Probleme mit was Hartem wieder reindrücken

  • An dieser Stelle sei auch nochmal auf die Einfahrvorschrift von Schwalbe hingewiesen, nach der man die Reifen 50km auf Asphalt ohne starke bremsungen und Beschleunigungen einfahren soll. Das soll bewirken, dass die Spikes alle in den Gummitaschen rutschen.
    M.E. kann man das aber umgehen, indem man den Sitz der Spikes nach der Montage prüft und ggf. korrigiert.

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